Nonbinary

Ich weiß noch ganz genau, wann ich das erste Mal als Frau bezeichnet wurde: Während meiner allerersten festen Beziehung. Ich war 17 und mein damaliger Freund nannte mich eine „schöne Frau“ und seine „Traumfrau“. Ich weiß das noch so genau, weil es damals schon unangenehm und merkwürdig für mich war, dass jemand von mir als Frau sprach. Über Jahre hinweg ging ich davon aus, dass es daran lag, dass ich mich aufgrund meines Alters noch nicht als Frau wahrnahm, und dass das kommen würde. „Mädchen“ passte zwar auch nicht wirklich, aber zwickte weniger als „Frau“.
Heute hilft es mir sehr, zu sehen, dass es vor 10 Jahren schon so war, obwohl es mir zu dem Zeitpunkt an dem Wissen mangelte, dieses Unbehagen zu analysieren und verstehen.
Nahezu jeder Mensch nimmt mich als Frau wahr.
Ich werde angesprochen als „Frau Soundso“, und ich schüttele mich innerlich und fühle mich nicht angesprochen – nicht nur das, es gibt mir das Gefühl, nicht Teil meines Körpers zu sein.
Bei meiner Geschlechtsidentität geht es darum, was ich im Inneren bin. Das ist schwer zu beschreiben und für Außenstehende vermutlich schwer fassbar, aber ich fühle mich selten bis gar nicht als Frau, sondern eher als geschlechtsneutral bis geschlechtslos.
Vor anderthalb Jahren fing ich durch das Verfolgen einiger YouTuber an, meine Geschlechtsidentität zu hinterfragen. Ich lernte, dass das Geschlecht, das uns bei der Geburt auf der Basis von Geschlechtsorganen zugeordnet wird, nicht zwingend mit unserem Verständnis von uns selbst zusammenhängen muss (in der Realität ist es sogar eher willkürlich, da beispielsweise ungefähr jede 100. Person intersexuell ist, siehe Quellenangaben). Monatelang wusste ich, dass irgendwas im Busch ist, dass ich anfange zu verstehen, dass mich die Thematik betrifft. Ich fing an, mit den Wörtern genderfluid, genderqueer und non-binary zu spielen, da es für mich am besten beschrieb, was ich empfand.
Seitdem ich diese Erfahrungen mit meinen engsten Freunden geteilt habe, fühle ich mich wohler in meiner Haut. Ich habe das Glück, umringt von queeren Menschen zu sein: die meisten meiner Freunde sind bi-, pan- oder homosexuell, Feminist_innen, haben selbst ein vages Konzept von Gender, und sind gebildet und sehr offen, was Sexualitäten und Geschlechtsidentitäten angeht. Es ist sogar etwas passiert, was ich nicht für möglich gehalten hab: Nachdem ich das Thema angesprochen hatte, stellte sich heraus, dass einige dieser Menschen bereits selbst angefangen hatten, über ihre Identität nachzudenken. Genau diese Leute sagen nun von sich, dass sie persönlich definitiv nichts mit binären Geschlechtsidentitäten (also den Kategorien Mann und Frau) anfangen können.
Non-binary sein bedeutet für mich, einen Begriff gefunden zu haben, der mir dabei hilft, anderen näher zu bringen, wer ich bin und schon immer war. Ich fühle mich so weniger allein als vorher, allerdings wäre ich froh, noch mehr Austausch mit anderen Enbys (Non-binary/NB Personen) zu haben. In Deutschland ist dieses Konzept (und ich sage, nur das Konzept – denn Geschlechter jenseits von Weiblich und Männlich existieren schon seit Tausenden von Jahren in allen möglichen Kulturen) irgendwie noch nicht ganz angekommen, weder rechtlich, noch gesellschaftlich. Stattdessen gibt es viel gefährliches Un- und Halbwissen und Verwirrung um das Thema – was zu schrecklichen Dingen wie körperlichem und verbalem Missbrauch von nicht-binären- und Transpersonen, und sogar zum Suizid dieser führen kann. Ich hoffe, dass sich diesbezüglich bald etwas ändert, und das geht am besten, wenn man einander zuhört.
Daher hier noch ein paar Antworten auf Fragen, die sich nun sicher stellen.
Also bist du eigentlich weiblich, aber du fühlst dich nicht so?“: Wenn man sich mehr mit dem Thema auseinandersetzt, wird man feststellen, dass Sex ("biologisch") und Gender (psychologisch/sozial) unterschiedlich sind. Wer aktuelle wissenschaftliche Forschungen verfolgt, wird mitbekommen, dass Gender ebenfalls als biologisch verstanden wird (Stichwort Hirnforschung). Ich fasse mich mal sehr kurz: Wer trotz mangelndem Verständnis Respekt zeigen will, respektiert immer die Genderidentität eines Menschen. Um alles besser zu verstehen, empfehle ich die National Geographic-Ausgabe „Ein Heft rund um Gender“, sowie die unten stehenden Links.
Und wenn du dich gerade eher weiblich fühlst, ziehst du dich auch so an?“: Nein. Tatsächlich hängt das bei mir nicht zusammen. Ich habe sogar festgestellt, dass ich mich tendenziell feminin kleide, wenn ich mit Menschen zusammen bin, von denen ich weiß, dass sie meine Identität zu 100% verstehen und mich nicht als Frau sehen, egal ob ich gerade Lippenstift trage oder nicht (Hi Nadine).
Es gibt nur zwei Geschlechter!“: Ich empfehle, vom Internet und der vielfältigen Masse an wissenschaftlicher Literatur (Beispielsweise aus dem akademischen Bereich der Gender Studies oder der Soziologie, sowie der Geschichte) Gebrauch zu machen.
Ich kenne dich besser als du dich selbst. Du hast in 2009 gerne Röcke getragen und nie Zweifel an deinem Geschlecht geäußert!“: Gender Expression ("Röcke tragen") hat nicht zwangsläufig etwas mit Genderidentität zu tun. Ich wusste auch noch nicht, dass es Terminologie gibt, die meine Gefühle so gut beschreibt. Deswegen hab ich halt eher uninformierte Aussagen gemacht wie „Irgendwie steckt ein Mann in mir, haha“.
Und wie definierst du dann deine Sexualität?“: Glücklicherweise hat mich meine Geschlechtsidentität von sämtlichen Begrenzungen befreit, und nach dem jahrelangen Daten von Cis-Männern, Beziehungen mit Frauen, und Crushes auf Menschen aller möglichen Geschlechter, kann ich endlich sagen, dass es mir wumpe ist und ich mich als einfach nur queer definiere. :)

Resources:

Queere Wörter (Deutsch): https://www.youtube.com/watch?v=7YelHjrjCpQ Ab Minute 04:25
Gender Dysphorie (Deutsch): https://www.youtube.com/watch?v=BN77zSAVcps Ab Minute 05:05
Nonbinary 101 (Englisch): https://youtu.be/tjGu5OCZFzw


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