Letting go of your bookish kid-self
Selbst bevor ich lesen konnte, habe ich Bücher geliebt. Ich kann mich jetzt noch
an den Geruch meine Lesefibel aus der ersten Klasse erinnern, und wie die
Magie, die von ihr ausging, mich fesselte (was sicherlich das Lesen
lernen beschleunigt hat).
Meine
Mutter hat auch schon immer gerne gelesen, und ihre Bücherregale
sind voller mehrfach gelesener Taschenbücher mit
geknickten Buchrücken. Obwohl meine Oma keine große Leserin ist, hat sie mir unermüdlich Gutenachtgeschichten vorgelesen. Ich bin einfach mit Büchern und Geschichten
groß geworden. Ich weiß noch, dass ich als Kindergartenkind wieder
und wieder versuchte, Buchstaben korrekt und in einer Reihenfolge zu
malen, die Sinn ergab, um das Ergebnis Mama zu zeigen. Ich hatte die Hoffnung, dass sich daraus zufällig mal ein echtes Wort ergab (Ist mir nie gelungen).
Als ich
dann lesen konnte, wuchs meine eigene Büchersammlung. Viele
Bilderbücher, viele Geschichtensammlungen, einige Sachbücher
(viele davon Geschenke von Verwandten). Ich kann mich an viele dieser Bücher gut
erinnern, denn ich habe ihre Seiten immer und immer wieder
durchgeblättert – im Bett, auf dem Boden, auf dem Fensterbrett;
während Mama gebügelt hat, Papa vorm Fernseher lag, oder beim
Anhören einer Hörspielkassette. Manche Bilder darin habe ich
ausgemalt. So auch in einem Buch über den menschlichen Körper, das
voll war mit nützlichem Wissen darüber, wie alles im Körper
funktioniert.
Dieses
Buch wurde vor ein paar Monaten von einem Kind mitgenommen, das mit seiner Tante unsere Straße hoch lief, während
ich meine alten Bücherkisten vor unser Haus stellte. Ich durfte nur
eine begrenzte Anzahl an Kindheitserinnerungen behalten, denn wir
haben zum einen nicht mehr soviel Platz, und zum anderen war es
wirklich viel Kram. Es ist mir emotional so schwer gefallen, auch nur daran zu
denken, das Zeug auszusortieren, obwohl ich nichts davon in den
letzten 10 Jahren angeguckt habe.
Ich
schätze, so 10 Kartons alter Schulsachen, Stofftiere, Spielzeug,
Bücher, sind 10 Kartons verletzlicher Kindheitserinnerungen, quasi
man selbst aufgeteilt in 10 Boxen. Und genauso fühlt es sich auch
an, als ob man wie von einem Serienkiller (Shoutout to Dexter) in
mehrere Teile gesägt und verteilt wird. Es ist psychisch ein
ähnlicher Schmerz, dem ich vorher, währenddessen, und auch jetzt
noch, aus dem Weg gehen will, weil ich nicht wahrhaben kann, dass
meine Kindheit zu Ende ist.
Ich habe
mir schon während der Pubertät gedacht, dass ich nie ein Mensch
werde, der davon redet, eine perfekte, wunderschöne Kindheit gehabt
zu haben. Die hatte ich vermutlich nicht, ich habe mir zum Beispiel oft
gewünscht, Dinge selbst bestimmen zu können, mehr zu dürfen, bis in die Nacht hinein lesen zu können. Diese Privilegien habe ich jetzt und will
trotzdem die Uhr zurückdrehen, auch wenn es keinen Sinn ergibt, denn ich bin weder
körperlich, noch mental, eine Person, die in ihren alten Schlafanzug
passt. Noch dazu sind meine Eltern nicht mehr zusammen und unser Haus
vermietet, also könnte ich, was auch das angeht, nicht zurück.
Das ist
bitter, und deswegen war ich auch zu 50 % sauer auf das Mädchen auf
der Straße, weil ich mein Buch nicht abgeben wollte, an jemanden,
der es bestimmt nicht so wertschätzt und aufsaugt wie ich. Und vor
allem an jemanden, der nicht Ich ist. Die anderen 50 % waren dann
diese skurrilen, protektiven, fürsorglichen, Hormon-gesteuerten Gefühle, die mir sagen, ja, das ist eine gute Tat, du hilfst
dem Kind, zu verstehen, warum die Nase läuft und warum Haare manchmal rot und manchmal schwarz sind.
Viele
meiner Lieblingsbücher hab ich behalten, viele sind jetzt in der
Stadtbücherei meines Heimatortes. Das gute Gefühl, gespendet zu
haben, stellt sich dennoch nicht ein. Wieder mal eine Sache, die mir
ein Rätsel bleibt, und die gleichen, immer wieder aufgewärmten
Fragen: Wie machen andere das? Wie kommen sie darüber hinweg, das
alles gehen zu lassen? Gehts nur mir so?
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